Welt der Geschichten

 


L
ektion über eine reine und gläubige Seele

Von einem Miteingeweihten aus Festland China
(Original in Chinesisch)

Um einen Freund zu besuchen, fuhr ich im Sommer 2004 mit dem Bus in eine kleine chinesische Stadt, in der ich noch nie gewesen war. Als der Bus die Autobahn verließ, war das Wetter düster, ich hatte keine Ahnung, wie ich in den betreffenden Stadtbezirk kommen sollte, und außer einigen Motorisierten war niemand auf der Straße, den ich nach dem Weg hätte fragen können.

Als ich aus dem Bus gestiegen war, bemerkte ich einige Taxifahrer, die auf mich einredeten, aber ich nahm kein Taxi. Als ich dann allein über das Pflaster ging, kam ein Mann mittleren Alters mit einer Fahrrad-Rikscha vorbei und fragte, ob er mich in die Stadt bringen könne. In Erinnerung an die schlechten Erfahrungen, die ich schon in vielen Städten gemacht hatte, zögerte ich. Der Mann bestand jedoch darauf, dass ich sein Fahrzeug nehmen sollte und sagte: „Ich werde Ihnen nur einen Yuan berechnen“. Ich traute meinen Ohren nicht, als ich das hörte – einen Yuan – soviel wie für ein Eis am Stiel. Ich lehnte jedoch das Angebot des Mannes ab. Dann fügte er mit einem Lächeln hinzu: “Ich fahre mit leerer Rikscha in die Stadt. Lassen Sie mich die Fahrt machen und einen Yuan verdienen.“ Er klang sehr ehrlich, und ich war fast schon überzeugt, zögerte aber immer noch. So sagte ich: „Das klingt gut, aber wenn wir erst in der Stadt sind, mag die Sache anders aussehen, weil ich hier nicht wohne.“ Der Mann war enttäuscht, ließ mich aber entscheiden. Schließlich bestieg ich die Rikscha.

Es war ein langer Weg in die Stadt, aber der Mann sagte bestimmt: „Egal, in welchen Stadtteil Sie müssen, ich werde Ihnen nur einen Yuan abnehmen. Ich meine, was ich sage.“ Unterwegs unterhielten wir uns, und ich erfuhr, dass er arbeitslos war, alleinlebend und bei seinen alten Eltern wohnte. Und als ich auf seine emsigen Füße, die sonnengebräunten Arme und den Rücken schaute, war ich überzeugt, es mit einem ehrlichen Menschen zu tun zu haben und empfand Sympathie und sogar Sorge um ihn. Als wir die Stadt erreichten, sah ich eine Bushaltestelle und wollte aussteigen, um mit dem Bus zum Haus meines Freundes zu fahren. Und da es an dem Tag sehr heiß war hoffte ich, er würde einen neuen Kunden finden und noch einen Yuan verdienen. Aber der Mann wollte mich nicht aus seinem Fahrzeug lassen uns sagte: „Das heißt, dass Sie mir nicht trauen.“ Dann bat er mich wiederholt, sitzen zu bleiben, da er versprochen hatte, mich an meinen Bestimmungsort zu bringen.

Schließlich kamen wir an, und ich gab ihm fünf Yuan. Er weigerte sich jedoch, das Geld zu nehmen, weil er nicht rausgeben könne. „Das ist der Fahrpreis, den ich zahlen möchte. Sie müssen mir nicht rausgeben“, erwiderte ich, und seine Augen weiteten sich vor Verwunderung. „Sie haben diesen Betrag verdient auf Grund Ihrer Ehrlichkeit, und ich hoffe, dass Sie sich immer Ihr gutes und reines Herz bewahren.“ Dann schüttelte mir der Fahrer dankbar die Hand, und wir sagten bedauernd Auf Wiedersehen.

Ich bin nicht reich und weiß, dass ein wenig Geld das Schicksal des Fahrers nicht ändern konnte. Aber ich hoffte, ihn zu ermutigen und wollte meine Liebe und Dankbarkeit ausdrücken für das, was er getan hatte.

Später sagte mir mein Freund, die Stadt sei ökonomisch unterentwickelt, und wenn ich ein Taxi genommen hätte, hätte es auch nur vier Yuan gekostet. Aber ich weiß, dass ich per Rikscha statt Taxi fuhr, weil mir Gott die Chance geben wollte, einem reinen und gläubigen Herzen zu begegnen. Erst wenn wir praktiziert haben, kennen wir wirklich und wahrhaftig den Wert von Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit, die man nicht für Geld kaufen kann.

 


Welt der Geschichten:

Lektion über eine reine und gläubige Seele
Ein offenes Herz führt Sucher zur Wahrheit